
Schmerzensgeld-Rechner funktionieren unter Umständen nicht. So errechnen Sie Ihren Anspruch richtig


Zusammenfassung
Ob Auffahrunfall, Hundebiss oder Ärztepfusch – kommt es durch Fremdverschulden zu physischen oder psychischen Schäden, haben Betroffene ggf. einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Doch wie beziffert man z. B. einen Beinbruch? Online Schmerzensgeld-Rechner funktionieren unter Umständen nicht. Denn: Die Schmerzensgeldhöhe lässt sich nur individuell bestimmen. Eine erste Orientierung bieten Tabellen, die sicherste Einschätzung kann ein Anwalt liefern.
Auf einen Blick
- Schmerzensgeld lässt sich nicht verlässlich online berechnen.
- Die Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes erfolgt stets individuell, da viele Faktoren in die Berechnung mit einfließen.
- Eine erste Orientierungshilfe bieten Schmerzensgeldtabellen.
Warum Schmerzensgeld-Rechner Ihren Anspruch gefährden
Schnell, unkompliziert, risikofrei – im Internet werben zahlreiche Anbieter mit Schmerzensgeld-Rechnern, welche innerhalb von Sekunden eine Anspruchshöhe ermitteln sollen. Doch kein Programm kann durch mathematische Formeln einen finanziellen Ausgleich für Verletzungen berechnen, der von individuellen Faktoren abhängig ist.
Ein Schadensfall ist stets individuell und unter Beachtung aller Faktoren zu betrachten. So ist bei der Bestimmung von Schmerzensgeld einerseits die Seite des Geschädigten zu berücksichtigen:
- Verletzungen: Ausmaß, Intensität der Schmerzen
- Therapie: ambulante oder stationäre Behandlung, Operationen, Dauer
- Persönliche Lebensumstände: Alter, Folgen für Lebensführung und -qualität
- Erwerbsfähigkeit: Dauer der Krankschreibung, Grad der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
- Folgeschäden: bleibende Entstellungen, Narben, Einschränkungen
- Schuldfrage: prozentuale Teilschuld
Zum anderen ist auch der Schädiger zu berücksichtigen:
- Schuldfrage: Fahrlässigkeit oder Vorsatz, Gefährdungshaftung
- Einsicht: Verhalten während der Schadensregulierung, ggf. Verzögerung des Gerichtsprozesses
- Wirtschaftliche Verhältnisse: Einkommen, Vermögen
In 5 Schritten Schmerzensgeld bestimmen
Sie können ein angemessenes Schmerzensgeld mithilfe einer sogenannten Schmerzensgeldtabelle bestimmen.
Anstelle eines Schmerzensgeld-Rechners können Sie wie folgt vorgehen:
1. Schmerzensgeldanspruch prüfen
Vor der Bestimmung von Schmerzensgeld ist zu prüfen, ob überhaupt ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht. Dafür müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Es besteht eine erhebliche und langfristige Verletzung von Körper, Geist oder der persönlichen Rechte.
- Der immaterielle Schaden wurde durch fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Schädigers verursacht.
- Die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahre ist nicht überschritten.
Es können auch weitere Ansprüche durch ein Schadensereignis entstehen. So besitzen z. B. Betroffene eines Auffahrunfalls einen Anspruch auf Schadensersatz für beschädigtes Eigentum, Haushaltführungsschäden und Lohnausfall.
2. Verjährungsfrist ausschließen
Die Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt gemäß § 195 BGB mit Ende des Jahres, in dem es zum Schaden kam und der Betroffene Kenntnis darüber erhielt. Wenn mögliche Folgeschäden nicht auszuschließen sind, können Sie bei Gericht ein Feststellungsantrag stellen. Dieser ermöglicht einen Aufschub der dreijährigen Frist.
Beispiel: Im Sommer 2018 erfasst ein Pkw-Fahrer mit dem Außenspiegel einen Radfahrer, welcher daraufhin durch den Sturz starke Schürfwunden und einen Armbruch erleidet. Doch der Pkw-Fahrer begeht Fahrerflucht und wird erst im Januar 2019 als Schädiger polizeilich ermittelt. Somit beginnt die Verjährungsfrist erst am 31.12.2019 – und endet 3 Jahre später am 31.12.2022.
Doch Achtung: Spätestens nach 30 Jahren sind jegliche Schmerzensgeldansprüche verjährt – unabhängig vom Kenntnisstand des Geschädigten oder etwaiger Aufschübe.
3. Dokumentation
Betroffene müssen einen Anspruch auf Schmerzensgeld nachweisen. Dafür kann eine Dokumentation erstellt werden. Folgende Dokumente und Nachweise können hierfür u. a. hilfreich sein:
- Sammlung aller Rechnungen und Belege, die den immateriellen Schaden dokumentieren – insbesondere ärztliche Gutachten und Verlauf des Heilungsverlaufs
- Schuldnachweis des Schädigers durch z. B. polizeiliche Ermittlungsakten oder private Aufzeichnungen
- Aufstellung einer Zeugenliste, welche die Ihre Darstellungen und die Auswirkungen Ihrer Schäden bestätigen
- Gutachten über verminderte Erwerbsfähigkeit und Folgeschäden
4. Schmerzensgeldtabelle statt Schmerzensgeld-Rechner nutzen
Schmerzensgeld-Rechner setzen für gleiche Verletzungen ein und dieselbe Entschädigungshöhe an. Tatsächlich sprechen Gerichte jedoch trotz vergleichbarer Verletzung unterschiedliche Schmerzensgeldsummen zu. Dies liegt daran, dass die individuellen Umstände entscheidend sind. Ein Schmerzensgeld-Rechner kann diese nicht abbilden.
Als Alternative zum Schmerzensgeld-Rechner können Sie zur ersten Orientierung auf eine Schmerzensgeldtabelle zurückgreifen. In solchen Tabellen sind alle Schmerzensgelder aufgelistet, die Gerichte für bestimmte Verletzungen zugesprochen haben.
Als Beispiel finden Sie hier eine Schmerzensgeldtabelle zum Schleudertrauma (HWS):
Schaden |
Schmerzensgeld |
Urteil |
HWS, fünf ambulante Behandlungen, eine Woche erwerbsunfähig, keine Folgeschäden |
200 Euro |
LG Aachen, 2004 |
leichtes bis mittelschweres HWS, vier Tage erwerbsunfähig, keine Folgeschäden |
500 Euro |
OLG Koblenz, 2014 |
HWS, ISG-Blockade, Störung Lendenwirbelsäule, starke Schmerzen, anhaltende ambulante Therapie, 6 Wochen erwerbsunfähig |
2.000 Euro |
AG München, 2013 |
mittelschwere HWS, zahlreiche Brüche, 12 Tage stationäre Behandlung, 2 Monate Reha, Narbe von 16 cm, Depression, Bewegungsbeeinträchtigung, grob fahrlässiges Verhalten des Schädigers, verzögerte Schadensregulierung |
35.000 Euro |
OLG Saarbrücken, 2015 |
schwerstes HWS, anhaltendes Wachkoma mit künstlicher Ernährung, dauerhafte Unterbringung im Pflegeheim, Schädiger grob fahrlässig und alkoholisiert |
500.000 Euro |
OLG Oldenburg, 2014 |
Die Verwendung von Schmerzensgeldtabellen bzw. Vergleichsfällen könnte allerdings ebenfalls problematisch sein. Dies hat folgende Gründe:
- Einzigartigkeit der Fälle: Kein Schadensfall gleicht dem anderen, weshalb ein direkter Vergleich grundsätzlich unmöglich ist.
- Außergerichtliche Einigungen: Die meisten Schmerzensgeldtabellen führen Ergebnisse außergerichtlicher Einigungen nicht auf, welche zumeist zu deutlich höheren Schmerzensgeldern führen.
- Inflation: Die Urteile sind nicht inflationsbereinigt. Zudem besteht inzwischen eine Tendenz zu höheren Schmerzensgeldsummen – insbesondere bei psychischen Schäden.
- Darstellungsfehler: Weder Urteile noch Akten bilden alle Kriterien ab, welche ein Richter zur Berechnung von Schmerzensgeld verwendet – wie z.B. das Verhalten des Schädigers im Gerichtsprozess.
- Fehlende rechtliche Bindung: Richter sind nicht an Vergleichsfälle gebunden. Laut § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) sind sie frei in der Beurteilung einer angemessenen Summe.
5. Anwalt konsultieren
Auch wenn der Rückgriff auf eine Schmerzensgeldtabelle sicherer ist als die Berechnung mit einem Schmerzensgeld-Rechner, kann die Hinzuziehung eines Anwalts hilfreich sein.
Dieser kann nicht nur die rechtssichere Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgelds übernehmen, sondern auch Ihren Anspruch auf Grundlage einer zweifelsfreien Dokumentation bei der Gegenseite oder vor Gericht durchsetzen.
So kann ein Anwalt im Rahmen einer Einforderung von Schmerzensgeld u. a. folgende Aufgaben übernehmen:
- Absicherung einer lückenlosen Dokumentation
- Analyse des Anspruchs auf Schmerzensgeld und weiterer Entschädigungsansprüche
- Recherche und Ermittlung einer angemessenen Schmerzensgeldsumme
- Außergerichtliche Vertretung gegenüber Schädiger und dessen Versicherung
- Gerichtliche Vertretung im Schmerzensgeldprozess
Das können Sie tun, um Ihren Anspruch zu sichern
Damit Sie durch einen Schmerzensgeld-Rechner oder die Bestimmung eines unangemessenen Schmerzensgeldes Ihren Anspruch nicht verlieren, können Sie Folgendes tun:
- Machen Sie sich Notizen zum Schadensereignis und halten Sie alle Zeugen namentlich fest.
- Beschreiben Sie Ihre immateriellen Schäden (Verletzungen usw.) und deren Auswirkungen. Auch hier sind Zeugen hilfreich.
- Konsultieren Sie einen Arzt Ihres Vertrauens und lassen Sie die Schäden medizinisch begutachten.
- Sammeln Sie alle Rechnungen und Belege zu Ihren Schäden (Behandlungskosten, Kosten für Medikamente, Arztberichte usw.).
- Lassen Sie sich von einem Anwalt zur Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes beraten.
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