1. Was ist der Widerrufsjoker?
Der Widerrufsjoker ist ein Schlupfloch aus Versicherungs- und Kreditverträgen. Normalerweise bleiben nach Abschluss 14 Tage Zeit, um vom Vertrag zurückzutreten (§ 355 BGB). Fehler, die vielen Unternehmen in der Widerrufsbelehrung unterlaufen sind, ermöglichen aber einen unbefristeten Widerruf: Verbraucher können Verträge auch Jahre nach Abschluss noch rückabwickeln und profitieren häufig finanziell davon.
Für Verbraucherverträge gilt laut BGB üblicherweise ein Widerrufsrecht von 14 Tagen. Innerhalb dieser Frist können Verbraucher ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zurücktreten.
Für einige Kredit- und Versicherungsverträge gilt aber der sogenannte Widerrufsjoker – ein Schlupfloch aus dem Vertrag: Er ermöglicht Verbrauchern, ohne zeitliche Begrenzung laufende Verträge und sogar bereits gekündigte oder beendete Verträge zu widerrufen.
Voraussetzung sind Fehler in der Widerrufsbelehrung. In diesem Fall beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist nie zu laufen. Stattdessen gilt ein ewiges Widerrufsrecht.
Ein erfolgreicher Widerruf führt zur Rückabwicklung. Die Vertragsparteien müssen alle erbrachten Leistungen zurückgeben und möglichst den Zustand wiederherstellen, der vor Vertragsschluss herrschte. Denn rechtlich betrachtet ist der Vertrag niemals wirksam zustande gekommen.
Der Widerrufsjoker bringt häufig erhebliche finanzielle Vorteile: Verbraucher können so beispielsweise ein teures Darlehen zu aktuellen Niedrigzins-Konditionen umschulden oder ein finanziertes Fahrzeug gegen Erstattung aller bislang gezahlten Beiträge zurückgeben.
Widerrufsjoker gilt trotz Urteil des BGH weiterhin
Der Bundesgerichtshof (BGH) wies am 5. November 2019 die Klagen zweier Verbraucher zurück, die ihr Widerrufsrecht für Kreditverträge vor Gericht durchsetzen wollten. Der BGH urteilte, dass die vorliegenden Formfehler nicht ausreichten, um einen Widerruf zu rechtfertigen (Aktenzeichen: XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19).
Der Widerrufsjoker gilt trotz der negativen BGH-Urteile weiterhin. Denn die Urteile des Bundesgerichtshofs beziehen sich lediglich auf die konkreten Versäumnisse in den beiden vorliegenden Fällen. In vielen Widerrufsbelehrungen liegen andere Mängel vor oder fehlen andere Pflichtangaben.
EuGH erklärt Kaskadenverweis in Widerrufsbelehrungen für unzulässig
In einem jüngsten Urteil vom 26.03.2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der sogenannte Kaskadenverweis in Widerrufsbelehrungen unzulässig ist (C-66/19). Laut dieser Klausel beginnt die Widerrufsfrist, wenn der Verbraucher alle Pflichtangaben erhalten hat – sie erklärt jedoch nicht, um welche es sich handelt.
Aufgrund der fehlerhaften Widerrufsbelehrung lassen sich Kreditverträge mit dieser Klausel auch Jahre später noch widerrufen – theoretisch. Denn aus Sicht des Bundesgerichtshof ist der vom Europäischen Gerichtshof als unzulässig erklärte Kaskadenverweis rechtmäßig. Ob die deutschen Gerichte dem Urteil des EuGH oder dem des BGH folgen, müssen zukünftige Urteile zeigen.
2. Wann gilt das ewige Widerrufsrecht?
Damit der Widerrufsjoker gilt, müssen 3 Voraussetzungen erfüllt sein:
- Vertragsnehmer ist eine Privatperson – Unternehmer haben kein Widerrufsrecht.
- Es handelt sich um eine bestimmte Art von Vertrag, die während eines bestimmten Zeitraums abgeschlossen wurde (Details in Kapitel 3)
- Die Widerrufsbelehrung enthält Fehler und entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Wie erkenne ich Fehler in der Widerrufsbelehrung?
Die Bandbreite an Fehlern, die Banken und Versicherungen in ihren Widerrufsinformationen gemacht haben, ist groß.
Häufig fehlen vom Gesetzgeber vorgeschriebene Pflichtangaben oder die angeführten Informationen sind veraltet, missverständlich formuliert bzw. sogar falsch.
Ob eine Widerrufsbelehrung Fehler enthält und ob diese zum ewigen Widerruf berechtigen, ist immer eine Einzelfallentscheidung und für Laien häufig nicht zu erkennen.
Es entscheiden juristische Feinheiten in der Formulierung oder Formalia wie eine angemessene Schriftgröße darüber, ob der Widerrufsjoker für einen Vertrag gilt.