Wer in welcher Familienkonstellation einen gültigen Anspruch hat und wie hoch die Pflichtteilsquote ist, können Sie weiter unten mit unserem Pflichtteilsrechner herausfinden.
Nachlasswert
Erfahren Pflichtteilsberechtigte z. B. bei der Testamentseröffnung von ihrer Enterbung, können Sie nun Ihren Anteil fordern: Hier für muss der Nachlasswert zunächst ermittelt werden.
Und das funktioniert so:
1. Die Erben erstellen ein Nachlassinventar
Die Erben müssen ein Nachlassinventar erstellen: Hierfür müssen sie alle Aktiva, Passiva, Schenkungen und Verträge des Erblassers berücksichtigen. Wichtig: Der Pflichtteilsberechtigte hat hierbei ein Auskunftsrecht! kann die Aufstellung eines Nachlassinventars durch einen Notar verlangen, wenn er Zweifel an der Vollständigkeit des Verzeichnisses hat. Außerdem kann er einzelne Gegenstände durch einen Gutachter schätzen lassen.
Hier finden Sie ein Muster zur Auskunftsaufforderung:
Überlegen Sie, ob Sie den Adressaten dieses Auskunftsschreibens mit „du“ oder „Sie“ ansprechen wollen – wir stellen Ihnen für beide Möglichkeiten Vorlagen zur Verfügung.
2. Vermögen wird bewertet
Ist der Umfang des Nachlasses bekannt, kann anschließend der genaue Nachlasswert berechnet werden. Zunächst werden alle Vermögensgegenstände aufgelistet und bewertet – der sogenannte Aktivnachlass. Dazu zählen beispielsweise:
- Immobilien – beispielsweise Haus oder Grundstück, aber auch Miteigentumsanteile,
- Bankguthaben wie Konten oder Aktien,
- Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen,
- Bargeld, persönlicher Besitz und Wertgegenstände.
3. Passivnachlass wird abgezogen
Vom Aktivnachlass wird anschließend der Passivnachlass abgezogen. Dieser umfasst alle Verbindlichkeiten und Schulden des Erblassers. Die Differenz aus Aktiv- und Passivnachlass ergibt anschließend den Nettonachlass – die Erbmasse, die der Berechnung des Pflichtteils zugrunde liegt.
Was wird abgezogen und was nicht?
Die Passiva, die vom Gesamtvermögen abgezogen werden können, sind:
- die Erblasserschulden – beispielsweise offene Rechnungen oder Steuerschulden des Erblassers
- die Erbfallschulden – beispielsweise die Kosten für die Beerdigung oder das Erstellen eines Nachlassverzeichnisses
- der Zugewinn des Ehegatten (siehe Kapitel zur Zugewinngemeinschaft)
- das „Voraus“ des Ehepartners – persönliche Haushaltsgegenstände wie beispielsweise Möbel oder Hochzeitsgeschenke
Im Todesfall kommen außerdem einige Kosten auf den Erben zu, die er nicht vom Nachlasswert abziehen kann. Dazu zählen:
- Vermächtnisse
- Belastungen durch Auflagen
- der „Dreißigste“ – der Erbe muss Familienangehörigen, die Unterhalt vom Erblasser bezogen haben, den ersten 30 Tagen nach dem Todesfall ebenfalls Unterhalt gewähren
- die Erbschaftssteuer von Erb- und Pflichtteilsbegünstigen – dies gilt allerdings nicht für etwaige Steuerschulden des Erblassers
Hat ein Erblasser zum Zeitpunkt seines Ablebens mehr Schulden als Aktivvermögen, können Erben die Erbschaft ausschlagen. Dies kann sinnvoll sein, wenn sie sich nicht zusätzlich belasten wollen. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserem Beitrag „Erbschaft ausschlagen“.
4. Grundstücke und Immobilien
Häufig besitzen Erblasser Grundstücke oder Immobilien. Auch diese werden als Vermögensgegenstände bei der Berechnung des Nachlasswertes berücksichtigt. Um den Wert einer Immobilie zu berechnen, sind unterschiedliche Verfahren üblich:
- das Vergleichswertverfahren – üblich bei Einfamilienhäusern und Wohnungen
- das Ertragswertverfahren – beispielsweise bei Gewerbeimmobilien
- das Sachwertverfahren – wenn es keine Vergleichswerte oder Ertragsberechnungen gibt
- die Berücksichtigung örtlicher Bodenrichtwerte bei unbebauten Grundstücken
Wenn eine Immobilie zum Nachlass gehört, kann der Erbe dadurch zusätzlich belastet werden. Hat er beispielsweise nicht genügend Geldmittel, um den Pflichtteil auszuzahlen, so muss er eventuell Haus oder Wohnung verkaufen, damit er den Pflichtteilsansprüchen gerecht wird.
Grundsätzlich ist bei der Vererbung oder Verschenkung von Immobilien und Grundstücken einiges zu beachten. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserem Beitrag „Haus vererben: So geht Ihre Immobilie an den Wunscherben“.
5. Schenkungen lösen Pflichtteilsergänzungsansprüche aus
Ebenfalls einen Einfluss auf den Nachlasswert haben Schenkungen, die der Erblasser bereits zu Lebzeiten getätigt hat. So kann der Pflichtteilsberechtigte in einigen Fällen einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben. Wann dies der Fall ist, erfahren Sie weiter unten bei „3. Pflichtteilergänzungsanspruch bei Schenkungen zu Lebzeiten“.
Berechnungsbeispiele bei Kindern
Wichtig vorab:
- Sofern noch Kinder des Erblassers leben, haben die Eltern, Enkel und Urenkel des Erblassers keinen Pflichtteilsanspruch. Deswegen wird in den folgenden Beispielen nicht weiter auf diese Punkte eingegangen.
- In den Berechnungsbeispielen für Kinder werden aus Vereinfachungsgründen keine Ehe- oder Lebenspartner berücksichtigt. Berechnungsbeispiele dazu folgen anschließend.
Allgemeine Beeinflussungsgrößen der Höhe des Pflichtteilsanspruchs für Kinder sind:
- der Nachlasswert
- der Güterstand der Eltern (folgt im nächsten Abschnitt) und
- die Anzahl der Kinder des Erblassers
Im folgenden Teil wird nun die Frage „Wie hoch ist der Pflichtteil für Kinder?“ anhand von Praxisbeispielen beantwortet.
Wie hoch ist der Pflichtteil bei 1 Kind?
Beispiel: Der Erblasser
- ist nicht verheiratet oder verpartnert
- hat 1 Kind
- besitzt einen Nachlasswert von 500.000 €
Sein Kind ist nach der gesetzlichen Erbfolge Alleinerbe. Demnach steht dem Kind ein Anteil von 100 % zu, woraus sich eine Pflichtteilsquote von 50 % ergibt. Das Kind hat einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 250.000 €.
Wie hoch ist der Pflichtteil bei 2 Kindern?
Beispiel: Der Erblasser
- ist nicht verheiratet oder verpartnert
- hat 2 Kinder
- besitzt einen Nachlasswert von 500.000 €
Die gesetzliche Erbquote verteilt das Vermögen zu gleichen Teilen unter den Kindern. Folglich steht den Kindern jeweils ein Anteil von 50 % zu. Daraus ergibt sich eine Pflichtteilsquote von 25 % und ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 125.000 €.
Wie hoch ist der Pflichtteil bei 3 Kindern?
Beispiel: Der Erblasser
- ist nicht verheiratet oder verpartnert
- hat 3 Kinder
- besitzt einen Nachlasswert von 500.000 €
Die gesetzliche Erbquote der Kinder beläuft sich auf je 1/3 des Nachlasswertes. Daraus ergibt sich eine Pflichtteilsquote von 1/6 und ein Pflichtteilsanspruch von ca. 83.333 €.
Berechnungsbeispiele bei noch lebenden Ehepartnern
Der Pflichtteilsanspruch von Ehe- und Lebenspartner beeinflusst die Pflichtteilsquoten aller anderen Angehörigen maßgeblich, da diese eine Sonderstellung haben. Besondere Auswirkungen hat dabei der gewählte gesetzliche Güterstand.
Prinzipiell gibt es in Deutschland 3 Güterstände:
- die Zugewinngemeinschaft
- die Gütergemeinschaft
- die Gütertrennung
Die meisten leben in Deutschland in einer Zugewinngemeinschaft. Das liegt vor allem daran, dass die Zugewinngemeinschaft automatisch entsteht, wenn die Eheleute es nicht ausdrücklich anders wünschen.
1. Wie hoch ist der Pflichtteil bei Zugewinngemeinschaft?
Die Pflichtteilsquote für Ehe- & Lebenspartner in Zugewinngemeinschaft beträgt:
- wenn Kinder vorhanden sind: 12,5 %
- wenn keine Kinder vorhanden sind, dafür aber Eltern, Geschwister, Nichten/Neffen oder Großnichten/-neffen des Erblassers: 25 %
- wenn nur noch Großeltern des Erblassers leben (je nach Anzahl): 25–43,75 %
- wenn keine der aufgeführten Verwandten mehr leben: 50 %
Der Umfang des Nachlasses in einer Zugewinngemeinschaft hängt dabei von dem Zugewinn ab. Dies ist der Betrag, der in einer Ehe erwirtschaftet wurde und beim Ende der Zugewinngemeinschaft unter den Ehegatten aufgeteilt wird. Wie sich dieser genau berechnen lässt, lesen Sie in unserem Artikel Zugewinnausgleich Erbe.
Kommt es zu einer Enterbung, so kann der enterbte Ehepartner neben dem Pflichtteil seinen Zugewinnausgleich verlangen. Da es sich bei diesem um eine Nachlassverbindlichkeit handelt, wird sie vor der Berechnung der Erbmasse abgezogen – die Pflichtteilsquote bezieht sich folglich auf den Nachlass abzüglich des Zugewinns.
Wurde ein Ehe- oder Lebenspartner nicht enterbt, kann es für ihn sinnvoll sein, dennoch den Pflichtteil einzufordern. Wann dies der Fall ist, erfahren Sie in unserem Artikel „Großer Pflichtteil & kleiner Pflichtteil“.
2. Wie hoch ist der Pflichtteil bei Gütergemeinschaft?
Die Pflichtteilsquote für Ehe- & Lebenspartner in Gütergemeinschaft beläuft sich auf
- wenn Kinder vorhanden sind: 12,5 %
- wenn keine Kinder vorhanden sind, dafür aber Eltern, Geschwister, Nichten/Neffen oder Großnichten/-neffen des Erblassers: 25 %
- wenn nur noch Großeltern des Erblassers leben (je nach Anzahl): 25–43,75 %
- wenn keine der aufgeführten Verwandten mehr leben: 50 %
Die Pflichtteilsquote bei der Gütergemeinschaft ist folglich genauso hoch wie bei der Zugewinngemeinschaft.
Im Gegensatz zur Zugewinngemeinschaft ist das Vermögen der Ehepartner jedoch gemeinschaftliches Vermögen. Kommt es zum Todesfall, wird das Vermögen halbiert: Die eine Hälfte steht dem verbliebenen Ehepartner zu, die andere Hälfte geht in den Nachlass. Wurde ein Ehepartner enterbt, steht ihm neben der eigenen Hälfte am gemeinschaftlichen Vermögen noch der Pflichtteil auf den Nachlass zu.
Beispiel: Der Erblasser
- lebt in einer Gütergemeinschaft
- hat 2 Kinder
- hat ein gemeinschaftliches Vermögen von 400.000 €
Enterbt der Ehepartner seine Frau, steht ihr zunächst die Hälfte des gemeinschaftlichen Vermögens zu – also 200.000 €. Außerdem hat sie einen Pflichtteilsanspruch auf den Nachlass des Mannes. Ihre Pflichtteilsquote beläuft sich dabei auf 12,5 %, was in diesem Fall einen Pflichtteilsanspruch von 25.000 € ergibt. Sie bekommt also insgesamt 225.000 €.
3. Wie hoch ist der Pflichtteil bei Gütertrennung?
Die Pflichtteilsquote für Ehe- & Lebenspartner bei Gütertrennung beläuft sich auf
- wenn 1 Kind vorhanden ist: 25 %
- wenn 2 Kinder vorhanden sind: 16,66 %
- wenn 3 oder mehr Kinder vorhanden sind: 5 %
- wenn keine Kinder vorhanden sind, dafür aber Eltern, Geschwister, Nichten/Neffen oder Großnichten/-neffen des Erblassers: 25%
- wenn nur noch Großeltern des Erblassers leben (je nach Anzahl): 25–43,75 %
- wenn keine der aufgeführten Verwandten leben: 50 %
Im Gegensatz zur Zugewinn- und Gütergemeinschaft ist bei einer Gütertrennung jeder Ehegatte alleiniger Besitzer seines Vermögens – in Bezug auf das Vermögen stehen sich die Ehepartner wie Fremde gegenüber. Kommt es zum Erbfall, findet folglich auch kein Vermögensausgleich statt und das Vermögen des Ehepartners fällt in den Nachlass.
Beispiel: Der Erblasser
- lebt in einer Gütertrennung,
- hat 3 Kinder und
- hat ein Vermögen von 400.000 €.
Enterbt er seine Frau, besitzt diese immer noch ihr alleiniges Vermögen. Zusätzlich steht ihr die Pflichtteilsquote in Höhe von 16,66 % am Nachlass ihres Mannes zu. Ihr Pflichtteilsanspruch beträgt folglich 66.640 €.
3. Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen zu Lebzeiten
Einige Erblasser wollen den Pflichtteil umgehen, indem sie ihr Vermögen bereits zu Lebzeiten verschenken. Allerdings wirkt dem der Pflichtteilsergänzungsanspruch entgegen – ein Ausgleichsanspruch, der den Wert der Schenkungen berücksichtigt.
Die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs unterliegt dabei dem Abschmelzungsmodell – je länger die Zuwendung her ist, desto kleiner fällt der einzurechnende Anteil aus. Liegt die Schenkung länger als 10 Jahre nach Tod des Erblassers zurück, wird sie nicht mehr angerechnet.
Abschmelzungsmodell des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Schenkungen:
Zeitpunkt der Schenkung
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Anteil
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Innerhalb des 1. Jahres vor dem Todesfall
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10/10 (voller Betrag)
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Bis zu 2 Jahre vor dem Todesfall
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9/10 (90 %)
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Bis zu 3 Jahre vor dem Todesfall
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8/10 (80 %)
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Bis zu 4 Jahre vor dem Todesfall
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7/10 (70 %)
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Bis zu 5 Jahre vor dem Todesfall
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6/10 (60 %)
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Bis zu 6 Jahre vor dem Todesfall
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5/10 (Hälfte des Schenkungsbetrags)
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Bis zu 7 Jahre vor dem Todesfall
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4/10 (40 %)
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Bis zu 8 Jahre vor dem Todesfall
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3/10 (30 %)
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Bis zu 9 Jahre vor dem Todesfall
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2/10 (20 %)
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Bis zu 10 Jahre vor dem Todesfall
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1/10 (10 %)
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Nicht berücksichtigt werden sogenannte Anstandsschenkungen – wie beispielsweise Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke.
Ausführlichere Informationen finden Sie in unserem Beitrag zum „Pflichtteilsergänzungsanspruch“.
4. Einforderung und Einklagung des Pflichtteils
Wenn Sie wissen, wie hoch Ihr Pflichtteil ist, so können Sie diesen beim Erben einfordern. Dafür können Sie zunächst das persönliche Gespräch suchen. Weigert sich der Erbe, der mündlichen Aufforderung nachzukommen, können Sie den Pflichtteil schriftlich einfordern. Wie Sie Ihren Pflichtteilsanspruch am besten geltend machen, was für Kosten auf Sie zukommen können und welche Vorgehensweise dabei üblich ist, lesen sie in unseren Artikeln Pflichtteil einfordern und Pflichtteilsanspruch geltend machen.
Sollten sich die Erben weigern, Ihnen Auskunft zu geben oder den Pflichtteil auszuzahlen, können Sie den Pflichtteil einklagen. Was sie beim Einklagen des Pflichtteils beachten müssen und wie Sie dabei vorgehen können, erfahren Sie in unserem Artikel „Pflichtteil einklagen“.
5. Pflichtteil trotz Testament
Viele stellen sich die Frage, ob sie ihren Pflichtteil trotz eines Testaments einfordern können. Diese Frage ist berechtigt, denn gerade beim Pflichtteil kann viel Verwirrung entstehen. Daher sagen wir es noch einmal ganz deutlich: Ja, Sie können Ihren Pflichtteil trotz Testament einfordern: Im Grunde müssen Sie sogar im Testament enterbt worden sein, um überhaupt Anspruch auf einen Pflichtteil zu haben.
Pflichtteilsberechtigte haben nur dann Anspruch auf einen Pflichtteil, wenn sie einen zu geringen Anteil bekommen haben oder ganz enterbt wurden. Das Testament ist sozusagen die Grundlage, um Ihren Pflichtteil einfordern zu können.
6. Tipp: kostenlose Ersteinschätzung im Erbrecht
Bei der Berechnung, wie hoch der Pflichtteil und eventuelle Pflichtteilsergänzungsansprüche sind, spielen viele Faktoren eine Rolle. So hängt der Pflichtteil stets von der individuellen Familiensituation und dem Nachlasswert ab. Ein advocado Partner-Anwalt für Erbrecht kann Ihnen in einer kostenlosen Ersteinschätzung gerne alle wichtigen Fragen zum Pflichtteil beantworten.