Übrigens beschreibt der Begriff „Schleudertrauma“ genau genommen nur den ruckartigen Unfallmechanismus, der zur Weichteilverletzung der Halswirbelsäule führt – nicht das Krankheitsbild einer HWS-Distorsion.
Ausführliche Informationen zu Symptomen, psychischen Folgen und Beispielfällen finden Sie in unserem Beitrag Schmerzensgeld Schleudertrauma.
Um nach einer HWS-Distorsion Schmerzensgeld erfolgreich durchzusetzen, müssen verschiedene Anforderungen erfüllt sein. Nachfolgend geben wir dafür einen Überblick über etwaige Voraussetzungen und einzuhaltende Fristen.
Voraussetzungen für Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion
Eine unverschuldete HWS-Distorsion nach einem Unfall kann einen Anspruch auf Schmerzensgeld begründen. Dabei muss der Schädiger laut § 276 BGB diese fahrlässig oder vorsätzlich verursacht haben. Ist der Unfall auf leichtsinniges oder unbedachtes Verhalten zurückzuführen, ist von Fahrlässigkeit auszugehen. Bei Verkehrsunfällen unter Alkohol- und Drogeneinfluss wird zumeist Vorsatz unterstellt.
Zudem ist unbedingt nachzuweisen, dass die HWS-Distorsion die Folge des Unfalls ist. Hier bietet sich eine ausführliche Dokumentation mithilfe der folgenden Unterlagen an:
- polizeiliche Unfallakten,
- ärztliche Gutachten & Behandlungsakten,
- Arzt- & Krankenhausrechnungen,
- Krankschreibung,
- ärztliche Behandlungsberichte und
- Angaben zum Verschulden des Schädigers.
Wurde durch den Geschädigten nachgewiesen, dass seine Verletzungen durch den Unfallverursacher entstanden sind, wird grundsätzlich die Haftpflichtversicherung des Schädigers Schmerzensgeld zahlen. Allerdings muss bei Verkehrsunfällen wie einem Fahrradunfall zwischen einem unverschuldeten und mitverschuldeten Ereignis unterschieden werden. Im ersten Fall wird die Schmerzensgeldzahlung durch den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung übernommen. Bei Teilschuld können beide Seiten von der jeweils anderen Seite Schmerzensgeld einfordern.
Fristen & Verjährung
Ein begründeter Anspruch auf Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion verjährt laut § 195 BGB nach drei Jahren. Beginn der Verjährungsfrist ist dabei das Ende des Jahres, in dem es zum Unfall kam und Kenntnis über Schäden und den Schädiger erlangt wurde. Ist der Schädiger beispielsweise erst nach dem Unfall bekannt, so beginnt die Frist erst zum Ende des Jahres, in dem er ermittelt werden konnte.
Beispiel: Autofahrer A erlitt im Oktober 2017 einen unverschuldeten Auffahrunfall. Der Unfallverursacher begeht Fahrerflucht und ist nicht auffindbar. Infolge des Auffahrunfalls wird Autofahrer A eine HWS-Distorsion zweiten Grades diagnostiziert. Erst im Januar 2018 wird der Schädiger durch die Polizei ausfindig gemacht. Die Verjährungsfrist beginnt somit am 31.12.2018 und endet am 31.12.2021.
Lassen sich Folgeschäden nach einem Unfall nicht ausschließen oder ist der Unfallverursacher wie im Beispiel nicht auffindbar, kann es ratsam sein, einen sogenannten Feststellungsantrag bei Gericht einzureichen. Die dreijährige Verjährungsfrist lässt sich verlängern und der Anspruch für nicht absehbare Schäden sichern. Nach 30 sind allerdings alle im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen stehenden Schäden verjährt – danach kann also kein Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion mehr eingefordert werden.
2. Wie viel Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion?
Wie hoch das Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion ausfällt, wird stets nach Einzelfall entschieden. Berechnet wird die Summe entweder durch die Versicherung oder einen Anwalt. Im Falle einer Klage wird ein Gericht über eine angemessene Höhe entscheiden.
In die Berechnung eines konkreten Schmerzensgelds fließen dabei grundsätzlich folgende Punkte ein:
- das eigene Mitverschulden bzw. Fremdverschuldung,
- der Schweregrad der HWS-Distorsion und
- die Dauer der Krankschreibung
- willentliche Verzögerung der Schadensregulierung durch die gegnerische Versicherung.
Je länger die Arbeitsunfähigkeit durch eine Krankschreibung andauert und umso höher der Schweregrad der HWS-Distorsion ist, desto höher fällt in der Regel die Schmerzensgeldzahlung aus. Wird kein Arzt aufgesucht und gab es demzufolge keine Krankschreibung, kann Schmerzensgeld aufgrund der fehlenden ärztlichen Dokumentation verwehrt werden.
Zur genaueren Bemessung der Schmerzensgeldhöhe können ähnliche Gerichtsurteile mit vergleichbaren Unfällen und Schädigungen herangezogen werden. Solche Schmerzensgeldtabellen dienen allerdings nur als grobe Orientierung – die konkrete Höhe der Schmerzensgeldzahlung wird stets individuell bestimmt.
In der folgenden Tabelle haben wir Ihnen einige Urteile zum Schmerzensgeld nach Unfällen mit HWS-Distorsion zusammengestellt:
Verletzung
|
Schmerzensgeld
|
Urteil
|
HWS-Distorsion 1. Grades durch Auffahrunfall
|
300 Euro
|
OLG München, 2015
|
HWS-Distorsion 1. Grades, zweiwöchige Arbeitsunfähigkeit ohne bleibende Schäden nach Auffahrunfall
|
1.000 Euro
|
LG Bonn, 2010
|
HWS-Distorsion 1. Grades, Cervikalsyndrom, fortwährende Schwindelattacken, dreiwöchige stationäre Behandlung, fünfmonatige Arbeitsunfähigkeit, Krankengymnastik
|
6.000 Euro
|
OLG Saarland, 2005
|
HWS-Distorsion ohne knöcherne oder sonst optisch dokumentierbare Verletzungen
|
7.700 Euro
|
OLG Koblenz, 2004
|
HWS-Distorsion 1. Grades, chronifizierte Depression
|
10.000 Euro
|
OLG Düsseldorf, 2015
|
HWS-Distorsion 1. Grades mit chronischen Nackenschmerzen, Prellung des Arms und Schienbeins, dreimonatige Arbeitsunfähigkeit, eingeschränkte Arbeitsfähigkeit
Trunkenheit des Unfallverursachers zählt als schmerzensgelderhöhender Faktor
|
13.000 Euro
|
OLG München, 2014
|
Schweres Schleudertrauma sowie Nasenbeinbruch, Schürf- und Schnittwunden, zahlreiche Prellungen
|
20.500 Euro
|
OLG Celle, 2000
|
HWS-Distorsion 2. Grades, Bruch des Beckens, linken Unterarms, Nasenbeins und Augenhöhle, Lungenquetschung, dreiwöchige stationäre Behandlung, zweimonatige teilstationäre Reha-Maßnahme, Krankengymnastik, depressive Reaktion
Eine verzögerte Schadensregulierung durch die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers sowie dessen grobe Fahrlässigkeit wirkten sich schmerzensgelderhöhend aus
|
35.000 Euro
|
OLG Saarbrücken, 2015
|
Misslungene HWS-Operation bei einer 49-jährigen Frau mit Querschnittslähmung
|
400.000 Euro
|
OLG Hamm, 2016
|
Schwerste HWS-Distorsion, anhaltendes Wachkoma mit künstlicher Ernährung, dauerhafte Unterbringung im Pflegeheim, Schädiger war alkoholisiert und handelte grob fährlässig
|
500.000 Euro
|
OLG Oldenburg, 2014
|
3. Wie beantrage ich Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion?
Um den Anspruch auf Schmerzensgeld nach einer HWS-Distorsion durchzusetzen, kann entweder eine außergerichtliche Einigung angestrebt oder eine Klage vor Gericht eingereicht werden. Wie genau dabei vorgegangen wird, erläutern wir Ihnen jetzt.
Außergerichtliche Einigung
Ist die Versicherungsnummer des Schädigers bekannt, kann die Forderung auf Schmerzensgeld bei HWS-Distorsion direkt an dessen Haftpflichtversicherung gerichtet werden. Liegt diese nicht vor, wird die Schmerzensgeldforderung dem Schädiger zugestellt. Der Schmerzensgeldantrag sollte dabei folgende Punkte enthalten:
- eine detaillierte Beschreibung der erlittenen Verletzungen,
- ein Nachweis, dass der Unfall die alleinige Ursache der HWS-Distorsion ist,
- die konkrete Höhe der geforderten Schmerzensgeldsumme und
- eine Fristsetzung für die Auszahlung dieser.