Was bedeutet das neue Urteil des EuGH?
In seinem Urteil vom 26.03.2020 räumte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein, dass eine Widerrufsbelehrung ungültig ist, wenn sie den sogenannten Kaskadenverweis enthält (C-66/19). Der Kaskadenverweis besagt, dass die Widerrufsfrist einsetzt, wenn der Verbraucher alle Pflichtangaben vorliegen hat. Welche Pflichtangaben das sind, sagt der Kaskadenverweis aber nicht – dadurch ist er zu unbestimmt.
Der Meinung des EuGH steht noch dies Bundesgerichtshofs entgegen – dieser hält Widerrufsbelehrungen trotz Kaskadenverweis für zulässig. Künftige Gerichtsverfahren werden zeigen, ob sich die Meinung des EuGH oder die des Bundesgerichtshofs durchsetzt.
2. Wie sieht eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung aus? Beispiele
Die folgenden Beispiele für fehlerhafte Widerrufsbelehrungen eines Darlehensvertrages zeigen besonders häufige Fehler, die Gerichte in verschiedenen Urteilen als unzulässig einstuften.
Fallen Ihnen diese Fehler in der Widerrufsbelehrung Ihres Vertrages auf, bestehen gute Chancen für einen erfolgreichen Widerruf:
Fehlende Pflichtinformationen
Seit 30. Juli 2010 sind folgende Pflichtangaben im Verbraucherdarlehensvertrag unverzichtbar. Fehlen diese, können Verbraucher ihren Vertrag widerrufen:
- Name und Anschrift des Darlehensgebers
- Art des Darlehens
- Effektiver Jahreszins
- Nettodarlehensbetrag
- Sollzinssatz
- Vertragslaufzeit
- Betrag, Zahl und Fälligkeit der Teilzahlungen
- Sämtliche Kosten
- Widerrufsinformation
Falsche Fristbelehrung
Wird der Beginn der Widerrufsfrist angegeben mit „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft und der Vertrag widerrufbar.
Das Wort „frühestens“ beurteilt die Rechtsprechung als verwirrend für Darlehensnehmer – die Frist ist nicht eindeutig benannt und könnte theoretisch auch später beginnen.
Aufsichtsbehörde nicht benannt
Viele Bankverträge verweisen in ihrer fehlerhaften Widerrufsbelehrung auf eine zuständige Aufsichtsbehörde, ohne sie konkret zu benennen. Benennt die Bank die Behörde nicht, beginnt die Widerrufsfrist nicht. Der Widerruf ist dadurch viel später möglich (BGH 2016 Az. XI ZR 434/15).
Beispiel der fehlerhaften Widerrufsbelehrung: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe des effektiven Jahreszinses, Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei der Kündigung des Vertrags, Angabe der für den Darlehensgeber zuständigen Aufsichtsbehörde) erhalten hat.“
Keine oder unvollständige Angaben zu Widerrufsfolgen
Die Widerrufsbelehrung muss Darlehensnehmer über die möglichen Folgen eines Widerrufs aufklären. Fehlt der Textabschnitt „Widerrufsfolgen“, ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft.
Die Formulierung „Soweit das Darlehen bereits ausbezahlt wurde, haben Sie es [...] zurückzuzahlen“ wurde in einem Urteil als fehlerhafte Widerrufsbelehrung eines Autokredits gewertet, da sie nicht eindeutig genug über die Rechtsfolgen aufklärt (LG Ravensburg 2019 Az. 2 O 90/19).
Auch falsche Formulierungen zu den Widerrufsfolgen machen eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft. Steht darin z. B., dass „Zahlungen innerhalb von 30 Tagen nach Absenden der Widerrufsbelehrung“ zu erstatten sind, ist dies falsch. Es müsste nach Absenden der Widerrufserklärung heißen (KG Berlin 2015, 4 W 16/15 zur DKB).
Unzureichende Aufklärung über Folgen für verbundene Geschäfte
Haben Sie neben dem Immobiliendarlehen weitere Verträge mit ihrem Kreditinstitut abgeschlossen – z. B. eine Restschuld- oder Gebäudeversicherung –, muss die Bank Sie darüber aufklären, welche Folgen bei einem Widerruf der Versicherung möglich sind. Andernfalls ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft.
Unbekannte Mehrkosten für öffentliche Stellen
Die Formulierung „Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann.“ suggeriert Verbrauchern unbekannte Mehrkosten im Falle eines Widerrufs. Da der Hinweis verwirrend ist, ist solch eine Widerrufsbelehrung fehlerhaft.
Aufwendungen an öffentliche Stellen sind z. B. Gebühren für Notar und Grundbucheintrag, die immer der Kreditnehmer trägt.
Ergänzende Fußnote
Einige Widerrufsbelehrungen enthalten die Fußnote „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“. Diese Fußnote wurde in mehreren Urteilen als fehlerhafte Widerrufsbelehrung (z. B. LG Kiel 2016, Az. 8 O 150/15) eingestuft.
Sie suggeriere Kunden, dass die angegebene Frist unter Umständen nicht verlässlich ist und von ihnen selbst zu überprüfen sei. Sie ist unnötig verwirrend und daher ungültig.
Keine Anpassung auf den Einzelfall
Die Widerrufsbelehrung muss sich stets auf den individuellen Vertrag beziehen.
Führt die Widerrufsbelehrung verschiedene vertragliche Möglichkeiten auf, die in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Darlehensvertrag stehen, ist sie fehlerhaft.
Gibt es mehrere Widerrufsbelehrungen, kann das gegen das Deutlichkeitsgebot verstoßen, weil Verbraucher nicht wissen, welche Widerrufsinformationen gültig sind.
Der Bundesgerichtshof (2016 Az. 21 O 475/12) urteilte jedoch, dass eine Widerrufsbelehrung mit Ankreuzoptionen den Anforderungen des Gesetzes entsprechen kann – solange die Gestaltung für Verbraucher noch verständlich ist (LG Lüneburg 2016 Az. 5 O 262/14).
3. Wann ist der Widerruf möglich?
Kreditverträge mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung sind nicht immer ewig widerrufbar. Je nachdem, wann der Vertrag geschlossen wurde, ergeben sich unterschiedliche Fristen:
- Vertragsabschluss vor 02. November 2002: Da Kreditinstitute damals noch nicht über das Widerrufsrecht aufklären mussten, ist ein Widerruf selbst bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung nicht möglich.
- Vertragsabschluss zwischen 02. November 2002 und 10. Juni 2010: Durch eine neue EU-Verbraucherkreditrichtlinie war der Widerruf bei einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung nur bis zum 21.06.2016 möglich – das Recht auf Widerspruch erlosch nach diesem Termin.
- Vertragsabschluss zwischen 11. Juni 2010 und 20. März 2016: Bei fehlender oder fehlerhafter Widerrufsbelehrung sind in diesem Zeitraum geschlossene Verträge ewig widerrufbar.
- Vertragsabschluss nach 21. März 2016: Durch Inkrafttreten der sogenannten Wohnimmobilienkreditrichtlinie sind Verträge bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung nur noch maximal 1 Jahr und 14 Tage nach Vertragsabschluss widerrufbar.
Haben Sie bis zum 21. Juni 2016 gegen Ihren Kreditvertrag Widerspruch eingelegt oder enthält Ihr Vertrag gar keine Widerrufsbelehrung, gilt das uneingeschränkte Widerrufsrecht trotzdem weiterhin.