1. Vorfälligkeitsentschädigung: Was ist das eigentlich?
Ein Immobilienkredit oder eine Baufinanzierung ist meist eine langfristige Verpflichtung mit fest vereinbarten Zinsen – häufig über 10 Jahre oder länger. Wird der Kredit vorzeitig zurückgezahlt, obwohl er noch nicht ordentlich gekündigt werden kann, verlangt die Bank in vielen Fällen eine sogenannte Vorfälligkeitsentschädigung. Diese Entschädigung dient als Schadensersatz, da der Bank durch die vorzeitige Rückzahlung Zinseinnahmen entgehen, mit denen sie ursprünglich kalkuliert hatte. Die Höhe dieser Kosten kann erheblich sein – fünfstellige Beträge sind keine Seltenheit.
Typische Gründe für eine vorzeitige Rückzahlung sind:
- Verkauf der Immobilie (z. B. nach Scheidung oder Trennung)
- Umzug in eine andere Stadt oder Region
- Arbeitslosigkeit oder finanzielle Engpässe
Beispiel: Vorfälligkeitsentschädigung beim Immobilienkredit einfach erklärt
Familie Müller hat vor 5 Jahren einen Immobilienkredit über 200.000 € aufgenommen. Die Zinsbindung beträgt 10 Jahre, und der vereinbarte feste Zinssatz liegt bei 3 % pro Jahr.
Jetzt – nach 5 Jahren – möchten sie ihre Immobilie verkaufen und den Kredit vorzeitig zurückzahlen.
Das Problem: Die Bank hat mit den Zinseinnahmen für die vollen 10 Jahre gerechnet. Durch die frühzeitige Rückzahlung entgehen ihr die Zinsen für die verbleibenden 5 Jahre. Die Bank muss das vorzeitig zurückgezahlte Geld nun neu anlegen. Doch seitdem die Zinsen gesunken sind, bekommt sie am Markt dafür nur noch 2 % Zinsen statt der ursprünglichen 3 %. Dadurch entsteht der Bank ein Zinsverlust, den sie sich über die Vorfälligkeitsentschädigung von Familie Müller ausgleichen lässt.
Sollte der Immobiliendarlehnsvertrag der Familie Müller fehlerhafte Angaben zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung enthalten, sind sie nicht zur Zahlung verpflichtet. Das betrifft Verträge, die seit dem 21. März 2016 abgeschlossen worden sind.
Vorfälligkeitsentschädigung Höhe
Die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung wird individuell berechnet und hängt von mehreren Faktoren ab:
- Restschuld: Je höher die verbleibende Restschuld, desto höher fällt in der Regel auch die Entschädigung aus.
- Zeit bis zur ordentlichen Kündigung: Je weiter die Möglichkeit, den Kredit ordentlich zu kündigen, noch entfernt ist, desto größer ist der Zinsverlust für die Bank – und entsprechend höher kann die Entschädigung sein.
- Vereinbarter Zinssatz: Ein höherer Sollzins im ursprünglichen Vertrag führt zu einem größeren Zinsnachteil für die Bank, wenn der Kredit vorzeitig beendet wird und die Zinsen inzwischen gesunken sind.
- Aktuelles Zinsniveau: Die Bank vergleicht den Zinssatz Ihres Kredits mit den aktuell erzielbaren Zinsen am Kapitalmarkt. Je niedriger die aktuellen Marktzinsen, desto größer der finanzielle Verlust der Bank – und desto höher die Vorfälligkeitsentschädigung.
BGH Urteile Vorfälligkeitsentschädigung: Rückforderung möglich
Grundsätzlich ist die Erhebung einer Vorfälligkeitsentschädigung rechtlich zulässig, sodass Banken eine solche Zahlung verlangen dürfen, wenn ein Immobilienkredit vorzeitig zurückgezahlt wird. Allerdings hat die Rechtsprechung in den letzten Jahren mehrfach Klauseln zur Berechnung der Entschädigung für unzureichend erklärt, wodurch die Bank die Vorfälligkeitsentschädigung nicht verlangen kann oder Verbraucher bereits gezahlte Beträge zurückverlangen können - solange der Anspruch noch nicht verjährt ist.
- Mai 2025: Sparkassen-Klausel für unwirksam erklärt
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 20. Mai 2025 (Az.: XI ZR 22/24) eine von vielen Sparkassen zwischen März 2016 und Anfang 2020 verwendete Klausel zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung als unzureichend und damit unwirksam eingestuft. Das bedeutet: Verbraucher, die in diesem Zeitraum einen Immobilienkredit bei einer Sparkasse abgeschlossen und diesen vorzeitig zurückgezahlt haben, müssen keine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen oder können bereits gezahlte Beträge unter Umständen zurückfordern.
- Auch LBS-Verträge im Fokus
Verschiedene Landesbausparkassen (LBS) haben sehr ähnlich formulierte Klauseln wie die Sparkassen verwendet und dürften deswegen ebenfalls von der aktuellen Rechtsprechung betroffen sein. Deshalb lohnt sich auch hier eine sorgfältige Prüfung der Darlehensverträge aus den Jahren 2016 bis 2020.
- Dezember 2024: Urteil gegen VR-Bank
Bereits im Dezember 2024 erklärte der BGH auch eine Klausel einer VR-Bank für unwirksam (Az.: XI ZR 75/23). Verbraucher können somit ebenfalls bereits gezahlte Entschädigungen zurückverlangen.
Das Urteil dürfte nicht nur die VR-Bank betreffen. Auch andere Kreditinstitute haben in der Vergangenheit vergleichbare Klauseln verwendet – vor allem in Darlehensverträgen, die zwischen dem 21. März 2016 und Anfang 2020 abgeschlossen wurden.
Dazu zählen insbesondere:
- Volksbanken
- Raiffeisenbanken
- Sparda-Banken
- PSD-Banken
- Apobank
- BBBank
Verbraucher, die in diesem Zeitraum einen Immobilienkredit bei einem dieser Institute abgeschlossen und bereits eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt haben, sollten ihren Vertrag prüfen lassen – es besteht die Möglichkeit, bereits gezahlte Beträge zurückzuerhalten.
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